Foto: Fernand De Canne, unsplash
Alleinsein und Frausein
Das Hören des Beitrages „Frauen allein am Tresen. Kampf gegen Vorurteile“ im Deutschlandfunk Kultur Anfang Oktober 2019 wirft die Frage auf, wie wir mit Alleinsein in der Öffentlichkeit umgehen. Konkret wird diskutiert, welche gesellschaftlichen Zuschreibungen stattfinden, wenn Frauen alleine abends ausgehen.
Ich gehe gerne allein aus – ganz unabhängig von der Tageszeit und dem Ort. Und da „Soloausgehen“ in den Interviews für mein Buch zum Thema Einsamkeit und Alleinsein auch ein Thema war, werde ich hellhörig.
Frau allein in der Kneipe
Erzählt wird unter anderem die Geschichte von Maria, 32. Maria ist neu in der Stadt und geht gerne abends allein aus. Ihre Motivation und ihre Erfahrungen spiegeln zum Teil ähnliche Bedürfnisse und Erlebnisse einiger Frauen und Männer, die ich für mein Buch interviewen durfte.
Ausgehtypen
Bei den Interviewten gab es grob gesagt drei Kategorien von Ausgehtypen:
Diejenigen, die nie allein ausgehen würden und nur zu zweit oder in Kleingruppen unterwegs sind. Die Frauen und Männer, die – wenn gerade keine Freundin oder kein Kollege Zeit hat – notgedrungen allein ausgehen. Und schliesslich die „Soloausgeher*innen“, d.h. diejenigen, die gerne allein ausgehen und dieses Alleinsein auch geniessen können.
Nur eine Minderheit der Interviewten gehörten zur letzten Kategorie.
„Keiner macht mehr irgendwas alleine“.
Zurück zum Feature vom Deutschlandfunk und Maria.
Wie Maria erleben viele meiner Interviewpartner*innen, dass allein was zu unternehmen, wie z.B. abends ausgehen, eher als auffällig und in unserer Zeit immer noch als erklärungsbedürftig.
Mit anderen zu sein, vermittelt vermeintliche Sicherheit, Harmonie und Geborgenheit – und gilt als normal. Und wir Menschen sind schliesslich Beziehungswesen.
…Warum?
Warum Frauen und Männer vorziehen, zu zweit oder in Kleingruppen auszugehen, mag dann ganz einfach am menschlichen Bedürfnis nach Nähe, Austausch und Kommunikation liegen.
Interviewpartner*innen betonten, dass Frauen sich eher als Beziehungsmenschen sehen (und gesehen werden) als Männer, und sie sich stärker über das Gegenüber definieren als Männer.
Ein anderer Grund mag sein, dass gerade Frauen den öffentlichen Raum oft als Ort der Unsicherheit wahrnehmen oder kennen: Viele Frauen berichten von blöder Anmache, ungewünschter Aufmerksamkeit und von Angst vor sexualisierter Gewalt.
„Soloausgehen“ – Ausdruck von Einsamkeit?
Bewusst allein auszugehen – sei es in die Kneipe oder ins Kino – gilt als abnormal und erklärungsbedürftig. Viele meiner Interviewpartner*innen verbinden mit „Soloausgehen“ Einsamkeit und einen Mangel an sozialen Kontakten und Freundschaften.
Dass Frauen und Männer allein ausgehen, weil sie gerne mit sich selber sind und sich unabhängig von anderen amüsieren können und wollen, scheint für viele abwegig und unvorstellbar. Vielmehr wird dieses Verhalten tendenziell als sehr ichbezogen und hedonistisch gesehen.
Und es fällt auf, dass „Soloausgehen“ von Frauen anders gesellschaftlich konnotiert ist als das von Männern.
„Wenn Männer allein am Tresen sitzen, ist das nichts Besonderes.
Wenn Frauen das tun, dann gibt es Fragen“.
Viele Interviewpartner*innen verwiesen auf unterschiedliche Geschlechterzuschreibungen, wenn ein Mann oder eine Frau allein abends unterwegs sei. Frauen allein im Ausgang zu sehen, sei nach wie vor eher die soziale Ausnahme als die Regel und gelte als auffällig.
Die Bilder, die vieler meiner Interviewpartner*innen bei „Frauen allein in der Kneipe“ oder „im Ausgang“ einfielen, waren Frauen als Prostituierte und Wirtinnen.
Männer allein am Tresen – nichts Besonderes?
Geschichtlich betrachtet ist z.B. das englische Pub (das „public house“) ursprünglich ein exklusiver Treffpunkt von Männern. Männern, wie Kaufmännern, Seemännern und Arbeiter, die das öffentliche Leben bestimmten, während Frauen zuhause sich um die Privatsphäre und damit um die Erziehung und Versorgung der Kinder und den Haushalt kümmerten.
Die meisten von uns mögen bei „allein am Tresen“ oder „allein in der Kneipe“ vor allem an (bestimmte) Männer denken: Vielleicht an einen Kommissar oder einen Privatdetektiven. Oder an einen versetzten Liebhaber, der grübelnd ein Bier trinkt oder an einen Arbeiter, der sich nach der Schicht sein Feierabendbier gönnt.
Bei Frauen und Ausgehen denken vielleicht viele an Serien wie „Sex in the City“, in denen sich die Protagonistinnen regelmässig in Cocktailbars treffen, reden, Pläne schmieden sich über Liebhaber austauschen. Medial scheint die Frau allein im Ausgang auch eher eine Ausnahmeerscheinung zu sein.
„Wenn Frauen das tun, dann gibt es Fragen“.
Frauen allein in der Kneipe oder in der Bar fallen auf und lösen Fragen wie diese aus: „Warum ist die Frau allein da“?, „Hat sie keinen Partner?“ oder „Hat sie keine Freunde?“.
Viele Frauen, die ich für mein Buch zur Einsamkeit interviewt habe, bestätigen, dass sie sich viele Gedanken machen, wie sie von anderen wahrgenommen werden, vor allem auch, wenn sie allein ausgehen würden – Gedanken wie „Was denken andere über mich, wenn sie mich allein sehen?“.
„Was denken andere über mich, wenn sie mich alleine sehen?“
Viele der befragten Frauen sagten, sie nehmen in den Blicken der anderen oft eine Mischung von Ignoranz, Misstrauen, Bedrohung und gesellschaftlicher Ablehnung wahr. Dass die interviewten Männer das nicht betonten, mag daran liegen, dass Frauen in der Regel anders sozialisiert sind, sensibler auf ihr Umfeld, erwünschtes gesellschaftliches Verhalten und mögliche soziale Sanktionen reagieren.
„Keiner macht mehr irgendwas alleine“.
Vor ein paar Tagen war ich im Kino – nicht allein.
Beim Betreten des gut besuchten Kinosaals fielen mir sofort die vielen Paare auf. Der neue Film „Sorry we missed you“ von Ken Loach stand auf dem Programm. Es ist die sozialkritische Abrechnung der Privatisierungs- und Austeritätspolitik Grossbritanniens. Geschildert wird das berührende Schicksal einer Familie. Die Familie scheint am Teufelskreis von Armut, sozialem Abstieg, familiären Konflikten und sozialer Ächtung zu zerbrechen. Beim Herausgehen sprach mich eine ältere Dame an „Solche traurigen Filme sollte man sich nie allein anschauen“. Ob sie mit „man“ sich selber, Menschen generell oder nur Frauen meinte, blieb offen.